Vom Waldorfsalat zum Maschsee

Das ist das Waldorf-Astoria Hotel. Eines der luxuriösesten Hotels der Welt. Es hat sogar einen eigenen „geheimen“ Bahnsteig als Verlängerung des benachbarten Grand Central Terminal, New Yorks Hauptbahnhof. Eingerichtet wurde diese Plattform für Franklin D. Roosevelt, Präsident der Vereinigten Staaten von 1933 bis zu seinem Tod 1945, der seinen Zug immer direkt unter „das Waldorf“ fahren ließ, wenn er in der Stadt war. Von dort ging es mit einem privaten Lift in die Präsidentensuite. Warum diese Scheu vor der Öffentlichkeit? Nun, Roosevelt war behindert, er saß seit seiner Kinderlähmung im Rollstuhl. In der Zeit vor Fernsehen, Internet und bunten Klatschblättern wußten das aber nur wenige Amerikaner und so sollte es auch bleiben. Der Präsident, der sein Land durch den Zweiten Weltkrieg zu führen hatte, sollte keine Schwäche zeigen.

Und dies ist der Waldorf-Salat, vermutlich das bekannteste Gericht, das je in der Küche des o.g. Hotels von Chefkoch Oscar Tschirky kreiert wurde. Man nehme säuerliche Äpfel und rohen Knollensellerie, der in feine Julienne-Streifen geschnitten wird, vermengt dies mit gehackten Walnusskernen und mit einer leichten Sauce Mayonnaise. Abgeschmeckt wird mit etwas Zitronensaft und Cayennepfeffer. Der Waldorfsalat gehört zu den Klassikern der Salatküche und steht im Kühlregal der Lebensmittelmärkte gerne zwischen Farmer- und rotem Heringssalat.

Da bekommt man Appetit. Und Durst. Wissensdurst, nicht wahr?! Denn, so fragt man sich unwillkürlich, warum tragen ein Hotel in Amerika und eine leckere Feinkost den gleichen Namen wie unsere und wie viele andere Schulen in der ganzen Welt?

Die Lösung des Rätsels liegt hier...
...in Walldorf im Süden Baden-Württembergs. Überregional bekannt ist Walldorf durch das gleichnamige Autobahnkreuz. Am 17. Juli 1763 wurde dort Johann Jakob Astor geboren. Schon als junger Mann zog es ihn freilich in die Ferne. Er emigrierte in die USA, kam dort praktisch mittellos an und wurde dennoch vom Straßenfeger zum Musikalienhändler und schließlich durch Pelzhandel und Immobilien zum reichsten Mann der Welt. Sein Urenkel war John Jacob Astor IV, der beim Untergang der Titanic ums Leben kam - wie übrigens die meisten Reisenden der Ersten Klasse, weil diese sich weigerten, mit normalen Proleten der Klasse 2 und 3 das Schiffsdeck oder gar ein Rettungsboot zu teilen. Aber dies nur am Rande. Zuvor hatte John Jacob Astor der Vierte allerdings mit seinem Onkel William Waldorf Astor, einem Enkel von Johann Jakob, das Waldorf-Astoria Hotel gegründet. Daß seine Eltern William auf zweiten Namen Waldorf hatten taufen lassen, zeigt, wie eng die Astors sich noch in dritter und vierter Generation mit der Heimatstadt des Familiengründers verbunden fühlten.

Interessant, nicht wahr?! Allerdings sind wir immer noch nicht in der Waldorf-Schule angekommen... Dazu müssen wir wieder zurück gehen ins Schwäbische. Am 1. Januar 1906 gründete der Schwabe Emil Molt in Stuttgart die Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik. Der Name war aber wohl viel mehr als eine bloße Hommage an den großen Sohn der Region. Man vermutet, daß die Tabakwarenfirma als Teil des weitverzweigten Handels- und Wirtschaftsimperiums der Astors entstand. Anders wäre es wohl auch kaum zu erklären, wie sie diesen, schon damals so renommierten Markennamen erhalten konnte. Noch heute schmückt das Portrait von Johann Jakob Astor die Packung der Marke Astor (die mittlerweile von Reemtsma hergestellt wird).


Eines Tages beauftragte Emil Molt, der Chef der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, einen gewissen Rudolf Steiner, er möge sich ein wenig um die Fortbildung der einfachen Arbeiter kümmern. Steiner war ein östereichischer Esoteriker und Philosoph. Er hatte die sogenannte Anthroposophie, eine gnostische Weltanschauung, begründet und auf Grundlage dieser Lehre einflussreiche Anregungen für verschiedene Lebensbereiche, etwa Pädagogik, Kunst (Eurythmie), Medizin (Anthroposophische Medizin) und Landwirtschaft (Biologisch-dynamische Landwirtschaft) entwickelt. Bald kam Steiner zu dem Schluß, daß bei der geistigen Bildung der erwachsenen Arbeitern wohl nicht mehr viel zu machen sei. Man beschloß künftig lieber gleich bei den Kindern der Firmenangehörigen anzusetzen. Und so wurde am 7. September 1919 in Stuttgart die erste Waldorfschule als eine Betriebsschule für die Sprößlinge der Arbeiter und Angestellten dieser Fabrik gegründet. Steiner machte die Schule zum Ausgangspunkt der anthroposophischen Waldorfpädagogik und übernahm die Ausbildung und Beratung des Lehrerkollegiums. Bis zu seinem Tod im Jahr 1925 war er spiritus rector der Schule.

Diese Astoria-Betriebsschule auf der Stuttgarter Uhlandshöhe, Modell für alle späteren Waldorfschulen, war schulgeschichtlich die erste Einheits- bzw. Gesamtschule Deutschlands. In den folgenden Jahren wurden weitere Waldorfschulen in Deutschland und im Ausland begründet. Bereits 1928 bestanden Schulen unter anderem in Basel, Budapest, London, Lissabon und in New York.